Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung

Suchergebnis in den Forschungsaktivitäten der Entscheidungshilfevorhaben

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Titel: Verbraucherverschuldung junger Menschen - Gesellschaftliche Ursachen, insbes. die Bedeutung eines gesellschaftlichen Wertewandels
Beschreibung (dt.): Mit großer Sorge registrieren Gesellschaft, Öffentlichkeit und Politik, dass junge Menschen sich, insbesondere im Umgang mit moderner Telekommunikation, in starkem Ausmaß über ihre Zahlungsfähigkeit hinaus verschulden. So hat z.B. der Schuldenkompass der Schufa ergeben, dass ein wesentlich und deutlich steigender Anteil von Zahlungsstörungen auf den Telekommunikationskosten junger Menschen beruht.
Ohne ausreichende Ursachenanalyse und Erkenntniszusammenhänge bleiben alle gesetzgeberischen, aber auch sonstigen Maßnahmen zufällig und weitgehend wirkungslos.
BMVEL benötigt eine auf alle Akteursebenen basierte Analyse der Ursachen der Verschuldung junger Menschen. Insbesondere sollte die aktuelle Wertehaltung aller beteiligten Akteure, wie Kreditnehmer, Kreditgeber, Anbieter von Telekommunikationsleistungen bis hin zu sonstigen Akteuren (z.B. Schuldnerberater), als möglichen begünstigenden Faktor untersucht werden.
Es ist außerdem zu untersuchen, ob und in wieweit sich bei jungen Menschen die Wertesituation deutlich zum Konsumismus bzw. zum Anspruchskonsum verschoben haben. Bei Kreditanbietern könnte sich ein Haltungswandel hin zur Umverteilung von Kreditrisiken aufzeigen, der es als wirtschaftlich rational ausreichend erachtet, dass Ausfälle nur innerhalb der kalkulierten Grenzen bleiben.
Ein motivrational strukturiertes Bild der Verschuldung junger Menschen ist hierbei von besonderer Bedeutung.
Ziele des Forschungsprojektes sind die Offenlegung der Handlungsmotivationen junger Menschen (Zielgruppe der 16- bis 24-Jährigen) zum Verschuldungsverhalten sowie die Bewertung verbraucherpolitischer Handlungsoptionen aus Sicht der Befragten (junge Verschuldete, Kreditnehmer, Kreditgeber, Anbieter von Telekommunikationsleistungen und sonstige Akteure).
Ergebnis (dt.): Das Forschungsprojekt „Verbraucherverschuldung junger Menschen – Gesellschaftliche Ursachen, insbesondere die Bedeutung eines gesellschaftlichen Wertewandels“, das anhand von 10 unstrukturierten Interviews mit Verschuldeten, Schuldnerberatern, Anwälten und einem Kreditberater durchgeführt und am Datensatz mit der Methode der objektiven Hermeneutik analysiert wurde kommt zu folgendem Befund:
Kernthese: Jugendliche und junge Erwachsene erfahren vielfach im Vorfeld ihrer Erstverschuldung den Zusammenhang von persönlicher Leistung und gesellschaftlicher abrufbarer Leistung nicht mehr. Das Erreichen der Volljährigkeit ist der Startschuss zu bedenkenlosem (Handy-) Konsum, der rezeptiv als gesellschaftlich legitim zugesichert gilt. Dem stehen intersubjektive Werthaltungen, wie Vertragstreue, Leistungsbereitschaft, Verantwortungsübernahme nicht mehr gegenüber. Nicht nur die protestantische Ethik, sondern auch die zentralen Überzeugungen der Leistungsgesellschaft sind bei diesen Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgelöst oder in Auflösung begriffen.
Im einzelnen: Elternhaus
1. Elternhäuser verschuldeter und überschuldeter Jugendlicher und junger Erwachsener leisten keine für die finanzielle Sozialisation notwendige Begleitung ihrer Zöglinge mehr.
2. Das Elternhaus ist entweder zerrüttet oder selbst dem Konsumismus anheim gefallen.
Schule
3. Die verschiedenen Schultypen (Hauptschule, Realschule, Berufsschule, IGS und Gymnasium) sind nicht in der Lage, diesen Bildungsauftrag stellvertretend zu übernehmen.
4. In den Lehrplänen ist ein kompensatorisches Mandat nicht ausreichend verankert.
Anbieter
5. Angesichts des weitgehenden Ausfalls primärer und sekundärer Sozialisationsinstanzen stoßen erst die Anbieter aus erwerbswirtschaftlichen Interesse mit ihren Mahn- und Inkassoverfahren mit der Primärverschuldung ihrer Kunden ab dem 18. Lebensjahr einen Prozess der Nachsozialisation an, der im günstigen Fall zwischen 3 und 6 Jahren andauern kann, im ungünstigen aber auch gänzlich ausbleibt.
6. Die Anbieter setzen so die normative Faktizität der Vertragsgeltung wieder in Kraft, erzwingen die lebenspraktische Einübung in Vertragstreue und konsolidieren das ökonomische Bewusstsein junger Erwachsener.
Schuldnerberatung
7. Die Schuldnerberatung vermittelt die faktische Geltung von Rechtsregeln als soziale Realität.
8. Die Schuldnerberatung tritt im Prozess der Nachsozialisation intermediär auf. Sie vermittelt zwischen Anbietern und verschuldeten Jugendlichen/jungen Erwachsenen.
9. Die Schuldnerberatung bringt den Jugendlichen/jungen Erwachsenen die Grundrechenarten bei, inkl. Zins- und Zinseszinsrechnung, vermittelt elementares Vertragsrecht, sowie die Notwendigkeit der Budgetverwaltung und des geschäftlichen Briefverkehrs.
10. Die Schuldnerberatung wirkt in die Peergroups hinein und erweitert so ihren aufklärerischen Wirkungskreis durch Öffentlichkeitsarbeit.
Anwaltschaft
11. Die Anwaltschaft tritt in den Prozess der Nachsozialisation regelmäßig erst im Zuge der Verbraucherinsolvenz ein.
12. Die Anwaltschaft übernimmt regelmäßig nur noch die bürokratisch-technische Abwicklung der Verbraucherinsolvenz, weil die Schuldnerberatung ihr die mandantschaftliche Betreuung vorwegnimmt. Der zugrundeliegende Norm- und Rechtskonflikt, wird seiner Substanz entkleidet und zum Verwaltungsakt zurückgestuft. Die prekäre Wertkonstellation wird substantiell entrechtlicht
Kreditberater
13. Kreditberater von Geschäftsbanken legen sehr enge Maßstäbe an die Vergabe von Raten- und Dispositionskrediten an die junge Kundschaft, die im Regelfall eine Überschuldung ausschließen.
14. Kreditberater eines Kundenkreditinstituts betreiben ähnlich wie die Handyanbieter eine sehr lockere Kreditvergabe an
Laufzeit: Beginn: 01.02.2005 / Ende: 01.08.2005
Ausf. Einrichtung: Dr. Thomas Roethe, Hannover
Förderprogramme: Entscheidungshilfebedarf
Stichpunkte: kleinprojekt; mündiger_konsument; wirtschaftlicher_verbraucherschutz; verschuldung; , Verbraucherschutz